Mittwoch, 9. September 2009

Freakshow

Ich habe einen neuen Stalker. Das heißt, eigentlich hab ich ihn schon seit einer Weile, aber langsam mache ich mir Gedanken. Der Mann, nennen wir ihn S., ist circa dreißig Jahre älter als ich, lebt in einem Heim für seelisch behinderte Menschen und ist angeblich eigentlich schwul. - Was sind seelisch behinderte Menschen??? Meine Schwester sagt, so werden Menschen mit psychischen Störungen von Behörden bezeichnet, zum Beispiel Depressive, Suchtkranke und Autisten.

S. sprach mich eines Tages im Bus an, weil er mich im Fernsehen gesehen und jetzt erkannt hatte. Er wirkte ein bisschen komisch, aber ich war trotzdem nett, weil ich nun mal nett bin. Meistens. Er fragte mich, wo ich hin wolle und fand so heraus, dass ich am Theater arbeite. Ich begann ihn immer häufiger im Bus zu treffen; man fährt ja doch immer dieselben Strecken, aber ob er auch vor unserer Bekanntschaft immer mit diesen Linien zu diesen Zeiten gefahren ist, kann ich nicht sagen.

Als Nächstes wurde mir zum Verhängnis, dass diese Stadt einfach zu klein ist. 250.00 Einwohner sind nicht genug, um allen Leuten, die man nicht treffen will aus dem Weg zu gehen. Mein neuer Freund S. hatte herausgefunden, in welcher Bar ich kellnere, und noch schlimmer, er war früher Stammgast gewesen. Logische Konsequenz daraus war, dass ich Besuch bekam. Glücklicherweise kann er sich nicht immer merken, welche Schichten ich arbeite - so begann der Reigen der Geschenke. Päckchen, die auf mich warteten, wenn ich meine Schicht begann. Bücher, CDs, Karten.

"Liebe megaphon, ich mag Dich sehr", "Ich wünschte, Du wärst hier" oder "Wollen wir zusammen auf das Tote-Hosen-Konzert gehen?". Ein Zitat aus dem Song von Nena: "Gib mir die Hand, ich bau Dir ein Schloß aus Sand, Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann". Gestern gab es eine Karte mit "Je t'aime, Mademoiselle".

Das wird mir jetzt doch ein bißchen zuviel. Ich habe keine richtige Angst, dass er mir was antut, ich denke, ich bin S. körperlich überlegen. Er erzählt auch häufig zusammenhanglose Dinge, oft auch mehrmals, weil er offensichtlich vergessen hat, dass er sie mir schon erzählt hat. Meine Chefs, die ihn schon länger kennen, sind belustigt und vor allen Dingen erstaunt, weil S. ihren Angaben zufolge schwul ist. Er hatte mir auch erzählt, dass sein Freund an AIDS gestorben ist. trotzdem scheint er sich jetzt für mich zu interessieren.

Auf der einen Seite wirkt er ungefährlich, und meine Chefs sagen auch, er sei harmlos. Auf der anderen Seite ist es gerade die Mischung aus Verwirrtheit und Vernunft, die mich gruselt. Vorletztes Mal hatte er einen Freund mitgebracht, offensichtlich einen Mitbewohner aus dem Heim, in dem er lebt. Der starrte mich die ganze Zeit an. Ich kam mir vor wie im Zoo. (Das ist natürlich beim Kellnern häufiger der Fall.) Erst beim Bezahlen stotterte er einen Satz hervor: "B-bist D-du wirklich d-die aus dem F-fernsehen?". Dieser Typ war deutlich größer und breiter als ich, und ich bin nicht traurig, wenn ich ihn nie wiedersehe.

Ich muß mit ihm reden, denn das muß aufhören. Es ist nichts passiert, aber ich fühle mich unwohl. Nur ist es während der Schicht schwierig, ein solches Gespräch zu führen, und das Letzte, was ich will, ist, mich privat mit ihm zu treffen! Liebe bis zum heutigen Tag nichtexistente Leserschaft, irgendwelche Vorschläge?

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